Die Chancen der Simulation nutzen
Am Himmel sind dunkle Wolken aufgezogen, ein kalter Wind weht über die hügelige Landschaft. „Meistens mache ich das in den Sommermonaten“, erklärt Thomas Hildebrandt, während er seinen Schal etwas enger zieht. Dann lässt er das windschnittige Modell eines Segelflugzeugs mit einer beträchtlichen Spannweite von mehr als vier Metern beinahe mühelos in den Aufwind steigen. Eines ist sicher: Mit Luftströmungen kennt sich Hildebrandt bestens aus, privat wie beruflich, wenn er an Simulationswerkzeugen für die Entwicklung moderner Strömungsmaschinen arbeitet. „Neben dem Triathlon ist die Modellfliegerei für mich der perfekte Ausgleich“, erklärt Hildebrandt. „Zeit für meine Freizeitaktivitäten zu finden, ist aber nicht immer ganz einfach. Da geht es mir wohl so wie vielen anderen.“
Hildebrandt ist Gründer und Geschäftsführer des Numeca Ingenieurbüros, dem deutschen Ableger von Numeca Int. S.A., einer Firma, die Software für die Strömungssimulation entwickelt und vertreibt. Von der pittoresken Kleinstadt Altdorf nahe Nürnberg aus betreut er mit zehn Mitarbeitern ein Gebiet, das nicht nur Deutschland, Österreich und die Schweiz, sondern auch die Tschechische Republik und das ferne Südafrika umfasst. Mithilfe der Software können seine Kunden rotierende Strömungen in Turbomaschinen berechnen, etwa die Luftströmungen in Flugzeugtriebwerken, Turboladern und Dampfturbinen oder die Wasserströmungen in Wasserturbinen und Pumpen. Hildebrandt bietet mit seinem Ingenieurbüro die Strömungssimulation darüber hinaus auch als Dienstleistung an.
Bei der Entwicklung moderner Strömungsmaschinen fällt der Simulation eine wichtige Rolle zu. Denn um die Strömungsenergie bestmöglich aufzufangen und die Turbomaschinen mit sehr hoher Effizienz zu betreiben, werden heute komplexe, dreidimensionale Schaufelgeometrien eingesetzt, die im klassischen Trial-and-Error-Verfahren – wenn überhaupt – nur mit äußerst hohem Aufwand zu entwickeln wären. „Mit modernen Simulationsmethoden können Forscher und Entwickler Detaileinsichten gewinnen und Zusammenhänge erkennen“, sagt Hildebrandt. „Das ist die Basis, um die geometrische Auslegung von Turbinen in einem fortlaufenden Prozess strömungsmechanisch zu optimieren. Erst wenn ein Entwickler sieht, dass keine signifikanten Verbesserungen mehr zu erreichen sind, baut er einen Prototypen und verifiziert die Simulationsergebnisse am Prüfstand.“
Auf diese Weise eröffnen heutige Simulationsmethoden den Konstrukteuren von Turbomaschinen völlig neue Möglichkeiten. Als Hildebrandt an der Technischen Universität München in den 1980er Jahren Luft- und Raumfahrttechnik studiert, ist das noch anders: Da steckt die Simulation noch in den Kinderschuhen. Nach seinem Diplom ist er Anfang der 1990er Jahre „erster Simulant“: als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Strahlantriebe der Universität der Bundeswehr in München. Während seine Kollegen noch mit klassischer Messtechnik arbeiten, ist er der Einzelkämpfer, der neue Simulationswerkzeuge einführt und etabliert. „Als ich merkte, welche großen Chancen in der Simulation steckten, begann ich, meine eigenen Software-Werkzeuge zu schreiben“, berichtet Hildebrandt. „Ich habe tagsüber an meiner Promotion gearbeitet und nachts programmiert.“
Das hindert ihn nicht daran, im Jahre 1998 seine Promotion bei Professor Leonhard Fottner erfolgreich abzuschließen. Eine Laufbahn an der Universität anzustreben, ist für ihn aber keine Option mehr. Hildebrandts unternehmerischer Instinkt ist geweckt, und noch vor Studienabschluss gründet er eine kleine Firma und präsentiert die selbst geschriebene Simulationssoftware potenziellen Kunden, etwa den Herstellern von Flugzeugtriebwerken und Turboladern. Der Erfolg ist so vielversprechend, dass er als Alleingesellschafter 1997 die deutsche Repräsentanz von Numeca gründet.
Auch wenn die ersten Jahre der Selbstständigkeit steinig sind und Hildebrandt anfangs mit einem uralten Alfa Romeo durch die Lande fährt und in Jugendherbergen übernachtet, ist er heute überzeugt: „Das war mein Weg.“ Nach drei Jahren zieht die junge Firma aus Hildebrandts altem Elternhaus in die heutigen Räume nach Altdorf. Das ist auch die Zeit, in der er wieder Kontakt zur FVV aufnimmt. „Ich hatte mich freigeschwommen und suchte den fachlichen Austausch mit Kollegen“, berichtet er. „Die FVV war mir bereits aus meiner Zeit am Institut für Strahlantriebe bekannt und ich wusste, dass ich hier einen guten Überblick über die deutsche Forschungslandschaft gewinnen und Kollegen und Kunden treffen kann.“
Derzeit betreut Hildebrandt als Obmann zwei Arbeitskreise: den Arbeitskreis „Schaufelkräfte“, der sich damit beschäftigt, wie Strömungskräfte auf eine Struktur wirken, und den Arbeitskreis „Fortschrittlicher Transsonikverdichter“, in dem untersucht wird, wie numerische Verfahren einen Verdichter auf ein bestimmtes Ziel hin optimieren können.
Mittlerweile hat Hildebrandt auch Aufgaben in der Lehre übernommen, etwa als Lehrbeauftragter an der Hochschule Amberg-Weiden und als Honorarprofessor an der Universität von Stellenbosch in Südafrika, die rund 50 Kilometer südöstlich von Kapstadt liegt. „Mein Wissen an junge Menschen weiterzugeben ist mein Antrieb“, sagt Hildebrandt und betont: „Besonders, wenn es mir gelingt, Studenten für die Simulation zu begeistern.“ Auch wenn das nicht immer ganz einfach ist. Aber Hildebrandt hat ja Erfahrung damit, einen Aufwind zur rechten Zeit zu nutzen.
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